Angst vor der Zukunft? Jugendliche zwischen gesunder Skepsis und gefährlicher Neigung zu Verschwörungen

Wer vertraut, glaubt ein Stück weit, dass er in sich und andere vertrauen darf und blickt damit zuversichtlich in die Welt. Ein hohes Maß an Vertrauen ist in der Regel von einem optimistischen Blick auf sich selbst und emotionaler Lebenszufriedenheit begleitet. Die Vertrauensstudie 2022, die im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung von der Universität Bielefeld durchgeführt wurde, fragt deshalb: Wie sehr vertrauen Kinder und Jugendliche in sich, in andere und in ihre Zukunft? Teilgenommen an der Umfrage haben über 1.500 Kinder (6 bis 11 Jahre) und Jugendliche (12 bis 16 Jahre).

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Jugendliche vertrauen Medien kaum und öffentlichen Einrichtungen nur bedingt

Ein zentrales Ergebnis der Befragung ist, dass die deutliche Mehrheit der Jugendlichen Zeitungen (75,8 Prozent) und Journalisten (71,6 Prozent) nicht vertraut. Mehr als ein Drittel der Jugendlichen vermutet, dass die Medien absichtlich wichtige Informationen zurückhalten (37,9 Prozent) und nur ihre eigene Meinung verbreiten (32,8 Prozent). Auch das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen, wie z. B. Behörden oder politische Organisationen, ist unter Jugendlichen nur mäßig ausgeprägt. Nur jeder zweite Jugendliche vertraut der Bundesregierung (53,9 Prozent) oder den Vereinten Nationen (54,0 Prozent). Deutlich höheres Vertrauen genießen dagegen Wissenschaftler (76,1 Prozent) und Polizei (79,9 Prozent).

Wenn aus gesunder Skepsis die Tendenz zur Verschwörungsneigung wird

„Das eklatante Misstrauen der Jugendlichen in die Medien, verbunden mit der Annahme, dass diese absichtlich Informationen verschweigen oder nur ihre eigene Meinung verbreiten, halten wir für alarmierend“, so Studienleiter Prof. Dr. Holger Ziegler. „Wir unterscheiden hierbei zwischen Skepsis und Verschwörungsneigung. Eine gesunde Skepsis hinterfragt Informationen, die wir erhalten. Das ist sinnvoll und nützlich im Leben. Stellen wir aber nicht nur den Wahrheitsgehalt einer Information in Frage, sondern vermuten wir, dass uns – in diesem Fall – die Medien absichtlich Informationen verschweigen und manipulieren wollen, dann bewegen wir uns in einem gefährlichen Bereich von Verschwörungsglauben.“

Tatsächlich zeigen die Ergebnisse der Studie, dass von den Jugendlichen, die wenig in öffentliche Einrichtungen vertrauen, mehr als ein Drittel (38,7 Prozent) eine starke Anfälligkeit für Verschwörungsgedanken aufweist. Ebenso gibt es einen Zusammenhang von Medienkonsum und Verschwörungsneigung. Von den Jugendlichen, die ihre Informationen bevorzugt aus den sozialen Medien beziehen, zeigen 37,6 Prozent eine starke Verschwörungsneigung. Von den Jugendlichen, die sich überdurchschnittlich viel über öffentlich-rechtliche Medien informieren, sind dies nur 5,4 Prozent.

Begrenztes Selbstvertrauen und wenig Vertrauen in andere bei Jugendlichen

„Im begrenzten Ausmaß sind in der Lebensphase der Pubertät Zweifel an sich und anderen durchaus erwartbar. Die Studie bestätigt, dass insgesamt ein Viertel der Jugendlichen (24,5 Prozent) nur geringes Selbstvertrauen besitzt. 32,2 Prozent der Teenager sagen, dass es ihnen Schwierigkeiten bereitet, ihre Pläne und Ziele zu verwirklichen, 26 Prozent wissen nicht, wie sie damit umgehen, wenn neue Herausforderungen auf sie zukommen. 41,7 Prozent der Jugendlichen fühlen sich manchmal nutzlos und 61,5 Prozent der Jugendlichen haben Angst, etwas falsch zu machen.

Bemerkenswert jedoch ist das Ausmaß des fehlenden Vertrauens in andere bei Teenagern. Zwei Drittel der Jugendlichen (63,6 Prozent) vertrauen nicht in andere Menschen. Etwa jeder zweite Jugendliche meint, wer sich auf andere verlässt, wird ausgenutzt (49,3 Prozent) und hat bereits erlebt, dass man sich nicht auf andere verlassen kann (46,3 Prozent). 39,6 Prozent der Jugendlichen glauben nicht, dass die meisten Menschen gute Absichten haben.

Die Ängste der Jugendlichen und ihr Vertrauen in die Zukunft

Wenn Jugendliche nur teilweise in sich selbst und wenig in andere vertrauen, dann beeinflusst das auch ihre Einschätzung der Zukunft: Ein Viertel der Jugendlichen (25,8 Prozent) blickt nicht optimistisch in die Zukunft und ihre Sicht auf die Welt ist von starken Ängsten geprägt. Mehr als zwei Drittel sorgen sich um Klimawandel (74,1 Prozent), Umweltverschmutzung (69,3 Prozent), Krieg (66,4 Prozent) und Armut (64,1 Prozent).

Hierbei unterscheiden Jugendliche deutlich zwischen persönlicher und gesellschaftlicher Zukunft. Nur 4,3 Prozent der Teenager sehen pessimistisch in die eigene Zukunft. Fast die Hälfte (47,3 Prozent) blickt positiv auf ihre ganze private, zukünftige Entwicklung. Umgekehrt verhält es sich mit der Zukunft der Gesellschaft. Nur 19 Prozent der Jugendlichen sehen für die Gesellschaft eine positive Weiterentwicklung. Mehr als ein Drittel (34,8 Prozent) von ihnen bewertet die Zukunft der Gesellschaft pessimistisch. „Wir sehen hier eine bemerkenswerte und auch besorgniserregende Entwicklung,“ so Studienleiter Prof. Dr. Ziegler. „Jugendliche vertrauen nur sehr begrenzt in die Lösungskompetenz der Gesellschaft. Wer aber den Glauben an die Gemeinschaft verliert, zieht sich zurück und resigniert.“

Auch Kinder wägen deutlich ab, wem sie vertrauen

Kinder blicken im Vergleich zu Jugendlichen vertrauensvoller in die Welt, doch auch sie erleben bereits deutliche Einbrüche in ihrem Vertrauen. So ist die Mehrheit der Kinder im Alter von 6 – 11 Jahren voller Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Doch ein Drittel bis nahezu die Hälfte der Kinder bestätigt dieses Selbstvertrauen nur teilweise. „Ich kriege fast alles hin, ich muss mich nur anstrengen“, stimmen 64,9 Prozent der Kinder voll zu, während dies 35,1 Prozent der Kinder ein bisschen oder gar nicht tun. Noch deutlicher wird es bei der Aussage „Was auch passiert, ich komme schon klar“. 50,7 Prozent der Kinder sehen das auch so, aber insgesamt 49,3 Prozent der Kinder wollen das nur ein bisschen oder gar nicht bestätigen. Uneingeschränktes Vertrauen gegenüber Erwachsenen zeigt lediglich etwa ein Drittel der Kinder (35,5 Prozent), gegenüber gleichaltrigen Kindern sogar nur rund sieben Prozent (7,3 Prozent). Die deutliche Mehrheit der Kinder ist vorsichtig und vertraut nur manchmal bis meistens Erwachsenen (63,5 Prozent) oder anderen Kindern (90,8 Prozent).

Das brüchige Grundvertrauen der Kinder zeigt sich auch bei der Frage nach der Zukunft. Nur etwa ein Drittel der Kinder vertraut uneingeschränkt darauf, dass es den Menschen in Zukunft besser gehen (32,4 Prozent) und weniger Kriege geben wird (33,3 Prozent). Die deutliche Mehrheit der Kinder (67,6 bzw. 66,7 Prozent) vertraut darauf nur ein bisschen oder gar nicht. Beim Blick auf die Zukunft beschäftigen die Kinder insbesondere zwei Ängste: zum einen die Sorge vor gefährlichen Krankheiten (70,2 Prozent) und die Sorge vor wachsender Armut (65,1 Prozent).

„Die Ergebnisse der Vertrauensstudie 2022 bestätigen unsere Erfahrungen in der täglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen,“ so Bernd Siggelkow, Gründer und Leiter des Kinder- und Jugendwerks „Die Arche“. „Die Erfahrung einer weltweiten Corona-Pandemie und der wirtschaftliche Druck, der auf Familien durch die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten lastet, bringen alle Beteiligten an die Belastungsgrenze. Wir sehen immer wieder, wie Kinder und Jugendliche sich zurückziehen, wenig vertrauen und mit starken Ängsten kämpfen.“

Mädchen im Teenager-Alter skeptischer als Jungen

Es gibt deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der Ausprägung von Vertrauen. Mädchen zwischen 12 – 16 Jahren verfügen über weniger Selbstvertrauen (Mädchen: 72,7 Prozent; Jungen: 81,0 Prozent) und weniger Vertrauen in andere (Mädchen: 49,5 Prozent; Jungen: 58,5 Prozent) als gleichaltrige Jungen. Das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen ist ebenfalls bei Mädchen schwächer ausgeprägt als bei Jungen. 60 Prozent der Mädchen im Teenager-Alter sagen, dass sie wenig Vertrauen in öffentliche Institutionen haben, bei den Jungen sind dies 42,8 Prozent. Im Vergleich dazu gibt es bei den Kindern im Alter von 6 – 11 Jahren kaum geschlechtsspezifische Ausprägungen bei der Herausbildung von Vertrauen.

Die Spirale des Vertrauensverlustes durchbrechen – das können Eltern tun

Eltern können die Herausbildung von Vertrauen bei ihren heranwachsenden Kindern und Jugendlichen aktiv unterstützen, indem sie ihr eigenes Verhalten reflektieren. Denn in Familien, in denen Eltern selbst nicht in öffentliche Einrichtungen vertrauen, zeigen 39,2 Prozent der Jugendlichen eine Tendenz zur Verschwörungsneigung. Und in Haushalten, in denen Eltern sich nur wenig nach der Meinung ihrer Jugendlichen erkundigen, weisen 30,2 Prozent der Jugendlichen eine starke Anfälligkeit zur Verschwörungsneigung auf. Je mehr Jugendliche dabei das Gefühl haben, dass sie nicht schaffen, was ihre Eltern von ihnen verlangen, desto eher sind sie anfällig für Verschwörungsgedanken (43,5 Prozent).